Freitag, 25. Januar 2008

Multiethnischer Staat und so

Es wird viel über das Essen gesprochen hier - eigentlich lieber als über das Wetter, vermutlich einfach weil das Wetter nicht so abwechslungsreich ist. Das Essen hingegen schon. Makan, makan, immer wichtig: "Have you tried this - oh you must try banana leaf, nasi lemak, tom yum soup, laksa, nasi ayam, etc. etc." Das funktioniert so gut, weil hier ja immerhin mindestens drei Volksgruppen so stark vertreten sind, dass sie schon nicht mehr als Minderheiten zu bezeichnen sind - weswegen ich auch immer denke, dass Deutschland viel mehr Aus- und später dann Inländer mit Migrationshintergrund bräuchte um die ganze Ausländer raus-Beckstein-Mitte rechts-Debatte aus den Angeln zu heben. Dass heißt man kann hier indisch und chinesisch und malay Essen, oder Fusion, oder International.

Dann im Krankenhaus, viele Kopftücher, viele Inder, viele Chinesen, alle arbeiten irgendwie zusammen und es gibt keine abschätzigen Blicke z.B. von Nicht-Kopftuchträgerinnen, den Kopftuchträgerinnen gegenüber. Der Islam spielt, genau wie die anderen Religionen hier (Hindu, Sikh, Buddhismus, Christentum) eine wichtige Rolle. Wenn man dann aber genauer hinschaut, dann bemerkt man das es gewaltig knarzt an allen Ecken und Enden.

So haben zum Beispiel viele Chinesen oder Inder überhaupt keine Ahnung wie Islam funktioniert - wo sie doch schon in einem islamisch-geprägten Land wohnen. Vielmehr spüre ich in verschiedenen Gesprächen immer wieder ein bis zur dezenten Abneigung reichendes Desinteresse. Die machen das halt so, aber verstehen will ich es eigentlich nicht, kann aber damit leben, solange man mich in Ruhe lässt. Zum Beispiel gibt es so die Vorstellung - und möglicherweise gibt es auch solche Arztanwärter - dass muslimische Ärzte oder Ärztinnen ihre Patienten nicht anfassen dürfen, oder wollen, kombiniert mit der leicht ungläubigen Frage, ob dann den dieser Beruf wohl die richtige Wahl sei. Dass das meiste unserer heutigen "westlichen" Medizin gerade aus muslimischer Kultur sich entwickelt hat spielt dabei keine Rolle, bzw. wird beflissentlich übergangen.

Oder neulich, als Andrea und ich uns zu einem Museumsbesuch aufgemacht haben, saßen wir also hinter dem Muzium Negara, dem National Museum in vor einem Restaurant und hatten uns für einen Milchkaffee entschieden. Vorausgeschickt vielleicht noch das Faktum, das israelische Staatsangehörige nicht nach Malaysia einreisen dürfen - wobei Adel hat in verschiedenen Blogs gelesen, dass für den Fall, dass man als Israeli trotzdem einreisen möchte die Vortäuschung von Staatenlosigkeit zu gewünschtem Transit führt. Wir saßen also, und zum Behufe der Befeuerung einer Zigarette fragten wir einen malayischen Mann, der herumsaß, ob er eben solches beisteuern könnte (dem Glimmstengel in seinem Mundwinkel nach zu urteilen eine rhetorische Angelegenheit). Das hat er dann freundlich gemacht, und sich auch gleich zu uns gesetzt. Es entspann sich ein Konversation, natürlich über unsere Herkunft - und seine - ich frage die Leute nämlich immer einfach zurück, wo sie denn herkommen und übers Reisen. Er machte einen freundlichen Eindruck und wir konnten Einblick nehmen in sein aufstrebendes Restaurantgeschäft (wieder makan), dass er in Zukunft auch auf gefrorene Fertigspeisen auszuweiten gedenkt. Dann plötzlich sagte er: "I like Germany, yes, (dass er schon mal in Hamburg war hatten wir schon früher eruiert), and the Germans. Yes, good country. You know why? You killed the Jews!". Obwohl ich schon verstanden hatte, hatte ich den Impuls nochmal nachzufragen ob ich richtig verstanden hätte. Von da an war kein halten mehr, bis wir uns schleunigst wieder auf den Weg machten. Die volle antisemitische Breitseite, gleich noch mit Amerika und Atombombenabwürfen und sonst irgendwelchen Verschwörungstheorien vermischt. Man hätte kotzen können - und jedes "No, nobody deserves that" meinerseits hatte nur ein "Yes, they do!" zur Folge. Also - wir haben Antisemitismus. Da fangen die Ethnizitäten/Religiositäten schon an zu knarzen.

Dann die Inder - deutlich benachteiligt - wenn man sie mal sprechen hört. Während die Chinesen wenigstens noch einen starken Anteil an der mittelständischen Geschäftswelt hält, bleibt für die Inder, vertraut man ihren Worten nur die unterste Schublade des Einkommensfächers übrig. Dass Malayen staatlich stark bevorzugt werden ist davon noch mal zu unterscheiden - so werden offizielle Posten nur mit Malayen besetzt und auch die politische Repräsentation gleicht im Verhältnis in keiner Weise der realen Bevölkerungssituation. So gab es also in letzter Zeit vermehrt Proteste initiiert von Indern, zum Beispiel gegen die Vorgänge bei Thaipussam. Denn obwohl dieses Fest ein durch und durch indisches ist, und der Oktoberfest ähnliche Rummel um die Batu Caves hauptsächlich von Indern getragen wird, war dieser Tag bis dieses Jahr weder ein offizieller Feiertag - obwohl es schon so viele andere gibt, noch bekamen die Inder die wirtschaftlichen Früchte dieser Bußfahrt zu spüren, das Geld wurde in andere Kanäle wurde abgeleitet (Bestreikt wurde auch die Unterrepräsentation durch die, soweit ich weiß einzige Partei der Inder). Dementsprechend habe sich viele entschieden dieses Jahr Thaipussam, durch das Fernbleiben von den Höhlen zu boykottieren und es war - s. weiter oben - nicht besonders voll.

Abgesehen davon - so hat mir ein Taxifahrer (ein Inder) ärgerlich berichtet, sei Korruption ein Problem. Die Söhne und Töchter von Regierungsbeamten können im Prinzip tun und lassen was sie wollen, sie werden in der Regel der Strafe binnen 2 Tagen entgehen - "but what about us? No, we go to jail." Man arbeitet, als Taxifahrer, oder in einem Restaurant, so lange man kann, um Geld zu verdienen, hat aber eigentlich keine Rechte. Da ärgern natürlich auch besonders solche Sexskandale, wie sie zur Zeit für Aufruhr sorgen, in denen Minister, die auf Video mit irgendwelchen "close friends" bei sexuellen, außerehelichen Aktivitäten aufgenommen werden und hinterher tagelang zunächst bestreiten abgebildet zu sein, dann dass es sich um eine Prostituierte handelt, um dann wenig später doch zurückzutreten - ärgern sagte ich, und werden zu Symbol für die politische Kultur als Ganzes.

Wie es überhaupt mir nicht ganz klar ist (ich habe mich zugegebenermaßen auch noch nicht näher damit auseinandergesetzt) - wie zum Beispiel Politik und Wirtschaft hier zusammenhängen. So sind zum Beispiel die Petronas Towers ausgestattet mit Wachleuten, die so etwas wie "Petronas Polis" auf ihre Uniformen gestickt haben. Petronas, jener Öl- und Energieriese, der sich die Twin-Towers als Monoment gebaut haben, sind an sich ein staatlicher Konzern. Und als solcher haben sie zum Beispiel auch den Bau des neu entstehenden Regierungsviertels Putrajaya, mit einem Sammelsurium aus verschiedenen, architektonisch anspruchsvollen und sehr unterschiedlich gestalteten Regierungsgebäuden, dass ähnlich Canberra in Australien oder Brasilia in Brasilien, als komplett vom Menschen durchkonstruiertes Regierungszentrum aufgebaut wird. Noch ist dort nicht viel los, aber die Besuchermassen, sollen so schnell wie möglich dorthin geleitet werden - wie allerdings zum Beispiel eine politische Kontrolle des Petronaskonzerns unter diesen Umständen noch denkbar ist, wird sehr fraglich - bei unpässlichen Entscheidungen könnte man ja der Regierung einfach den Saft abdrehen.

Schaue ich mich im Krankenhaus um, dann fällt andererseits auf, dass die meisten Consultant-Positionen (Chefärzte), und die überwiegende Zahl der Lecturers (eine Stufe darunter) nicht malayischer Ethnizität sind. Dieser Eindruck beschreibt nur meine subjektiven Erfahrungen im Department of Surgery - die ganze Fakultät ist ja noch erheblich größer, aber von einer recht großen Anzahl von malayischen Medizinstudenten werden nur wenige, wie zum Beispiel die Chefin der Orthopädie (ausgerechnet) in Führungspositionen ankommen. Eigentlich erstaunlich. Andererseits denke ich gesehen zu haben, dass dann noch höheren Führungspositionen, hinein in die Universitätsspitze wieder eher von Malayen besetzt sind, vermutlich weil sie, als Teil des Bildungsministeriums schon wieder als Regierungsbeamte gelten. Es scheint also einen feinen Bruch zu geben, zwischen beruflicher, Kompetenz-, oder Lebensführungs-abhängiger Karrierewahl oder -aussicht, und politisch strukturierten Führungsansprüchen.

Ich meine konstatieren zu müssen, dass es, die Differenzen zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen ins Auge fassend recht ruhig und zivilisiert zugeht her, dass aber diese Friede-, Freude-, Freundlichkeit Euphorie, die einen hier, auch mich, überfällt, sich doch langsam an vielen kleinen "Zacken" und Interferenzen der Wirklichkeit bricht - es besteht eine erhebliche Spannung in dieser Gesellschaft.

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